Angststörungen: Administrative Prävalenz (ab 18 Jahre) (Angststörungen)

Angst und die sie begleitenden körperlichen und psychischen Reaktionen machen Menschen wachsam und handlungsbereit, um akute Bedrohungs- oder Stresssituationen besser bewältigen zu können. Wenn Ängste, Sorgen oder Befürchtungen jedoch angesichts der realen Bedrohung unverhältnismäßig oder unangemessen, langandauernd und stark beeinträchtigend sind, werden sie als Angststörung beschrieben. Je nach Auslöser und Art der Angstreaktion werden unter anderem Panikstörung, soziale Phobie und generalisierte Angststörung unterschieden. Die Krankheitslast von Angststörungen wird aufgrund von hoher Prävalenz und Chronifizierungsrisiko, häufiger Komorbidität (insbesondere mit Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen) und erhöhter Sterblichkeit als hoch eingeschätzt (WHO 2023, Yang et al. 2021).

Der Anteil der gesetzlich Versicherten, bei denen die Diagnose einer Angststörung in der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung dokumentiert wurde, wird als administrative Prävalenz oder auch Diagnoseprävalenz bezeichnet. Sie wird davon beeinflusst, dass die meisten Betroffenen keine professionelle Hilfe aufgrund der psychischen Beschwerden aufsuchen und Angststörungen im Gesundheitssystem häufig übersehen werden (Alonso et al. 2018, Heinig et al. 2021).

Schon gewusst?

(Angststörungen)

7,9 % der Erwachsenen erhielten im Jahr 2023 die Diagnose einer Angststörung.

(Angststörungen)

Im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie 2020 kam es zur stärksten Zunahme der administrativen Prävalenz von Angststörungen im Zeitraum von 2012 bis 2023.

(Angststörungen)

Seit 2020 kam es bei 18-bis 29-jährigen Frauen zu einem vergleichsweise starken Anstieg der administrativen Prävalenz von Angststörungen.

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Ergebnis

Im Jahr 2023 erhielten in Deutschland 7,9 % der Erwachsenen die Diagnose einer Angststörung in der ambulanten Versorgung. Bei Frauen lag der Anteil mit 9,9 % nahezu doppelt so hoch wie bei Männern (5,4 %). Im Vergleich der Altersgruppen fiel die administrative Prävalenz von Angststörungen bei den unter 30-Jährigen sowohl bei Frauen (8,6 %) als auch bei Männern (4,3 %) am geringsten aus. Die höchsten Werte zeigten bei Frauen die 60- bis 69-Jährigen (11,4 %), bei Männern die 50- bis 59-Jährigen (6,4 %). Unter den Bundesländern fiel die administrative Prävalenz von Angststörungen bei Frauen in Baden-Württemberg (8,8 %) und bei Männern in Brandenburg (4,8 %) am geringsten aus, während Berlin bei beiden Geschlechtern die höchsten Werte erreichte (Frauen: 12,6 %; Männer: 6,8 %).

Im Zeitverlauf nahm die administrative Prävalenz von Angststörungen zwischen den Jahren 2012 (5,8 %) und 2023 zu. Der stärkste Zuwachs war im Jahr 2020 zu verzeichnen. Die aktuellsten Entwicklungen im Jahr 2023 sind, im Gegensatz zum Vorjahr, von einem erneuten Zuwachs gekennzeichnet, insbesondere bei Frauen zwischen 18 und 29 Jahren. Über die gesamte Zeitspanne von 2012 bis 2023 betrug der Anstieg der administrativen Prävalenz von Angststörungen bei Männern + 1,7 Prozentpunkte (+ 47,7 %) und bei Frauen + 2,4 Prozentpunkte (+ 32,2 %). Im Altersvergleich waren die Zuwächse bei Frauen in der ältesten Gruppe ab 80 Jahre am größten, bei Männern bei den 70- bis 79-Jährigen.

Fazit

Angststörungen werden in der ambulanten Versorgung häufig und seit 2012 zunehmend diagnostiziert. Als Ursachen der Entwicklungen werden Veränderungen des Hilfesuchverhaltens von Betroffenen sowie der Diagnose- und Kodierpraxis von Behandelnden diskutiert. Zugleich können Belastungen durch Krisen eine Zunahme neuer Fälle mit Angststörungsdiagnose zur Folge habe. Diese trug beispielsweise während der COVID-19-Pandemie (Bohlken et al. 2021) zu einem markanten Anstieg der administrativen Prävalenz im Jahr 2020 bei. Von einer zunehmenden Belastung der Bevölkerung durch Angstsymptome in Zeiten multipler Krisen wird auch 2022 und 2023 im Vergleich zu 2021 ausgegangen. Diese schlägt sich möglicherweise mit dem zuletzt verstärkten Zuwachs von Angststörungsdiagnosen bei jungen Frauen (18 – 29 Jahre) auch im Versorgungssystem nieder.

Da Angststörungen in epidemiologischen Studien zu den häufigsten psychischen Störungen in der Bevölkerung zählen, erscheint ihre vergleichsweise geringe administrative Prävalenz erklärungsbedürftig (Thom et al. 2019). Während die Entstehung von Angststörungen vorrangig durch Prävention ihrer sozialen Ursachen verhindert werden kann (Kirkbride et al. 2024), sollten auch die verfügbaren Behandlungsansätze durch eine akkurate Feststellung von Angststörungen im Versorgungsgeschehen umfassend genutzt werden.

Methodik und Datenquellen

Definition

Der Indikator Angststörungen: Administrative Prävalenz ist definiert als der Anteil der gesetzlich versicherten Erwachsenen mit Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung, bei denen im jeweiligen Jahr einmalig oder mehrmals die Diagnose einer Angststörung in der ambulanten Versorgung dokumentiert wurde (ICD-10-Code F40, F41).

Bezugspopulation

Alle gesetzlich versicherten Erwachsenen mit Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung (in 2023 etwa 60,7 Millionen).

Datenquelle und Fallzahl

Bundesweite vertragsärztliche Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V aller gesetzlich krankenversicherter Personen, die in den jeweiligen Jahren vertragsärztliche einschließlich vertragspsychotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen haben (Versorgungsatlas.de 2024). Der Datensatz des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi) umfasste 2012 eine Gesamtzahl von 57,6 Millionen und 2023 von 60,7 Millionen erwachsene Personen.

Weiterführende Links

Datenqualität

Der Datensatz enthält Diagnosen aus der ambulanten vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Nicht als Fall erfasst werden damit Personen, die ausschließlich in der stationären oder selektivvertraglichen Versorgung oder der ambulanten Behandlung im Krankenhaus eine Depressionsdiagnose erhalten haben. In der Bezugspopulation sind gesetzlich Versicherte ohne Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen nicht enthalten. Beide Limitationen haben jedoch nur geringfügige Auswirkungen auf die Prävalenzschätzung für Depressionsdiagnosen (Grobe und Frerk 2024). Grundsätzlich in den Daten nicht berücksichtigt werden Personen, die nicht gesetzlich versichert sind (2022: 12,1 %) (Destatis 2024).

Berechnung

  • Beschreibung: Quotient aus der Anzahl der gesetzlich versicherten Erwachsenen mit ambulanter Diagnose einer Angststörung und der Anzahl der gesetzlich versicherten Erwachsenen mit Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung.
  • Stratifizierung: Die Darstellung nach Bundesland basiert auf dem Wohnort der Versicherten.
  • Altersstandardisierung: Mit der europäischen Standardbevölkerung 2013 als Bezugspopulation erfolgte eine Standardisierung nach Alter und Geschlecht unter Verwendung von 18 – 19 Jahre sowie anschließend von 5-Jahres-Altersgruppen ab 20 – 24 Jahre bis 85 – 89 Jahre sowie ≥ 90 Jahre.

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15.05.2024, Fachartikel, Deutsch

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Prävalenzen von Depressionen bei Erwachsenen – eine vergleichende Analyse bundesweiter Survey- und Routinedaten

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