Psychische Störungen: Administrative Prävalenz (ab 18 Jahre) (Psychische Störungen)

Psychische Störungen sind definiert als Veränderungen von Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Verhalten, die Leid und Funktionseinschränkungen in wichtigen Lebensbereichen verursachen. Weltweit zählen sie zu den Erkrankungen mit der größten Krankheitslast (IHME 2024). Diagnosesysteme unterscheiden verschiedene Klassen psychischer Störungen, beispielsweise Depression, Angststörungen, Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung, Störungen durch Alkohol oder illegale Drogen sowie organisch bedingte Störungen wie Demenz. Die vielfältigen Ursachen psychischer Störungen liegen auf biologischer, psychischer und sozialer Ebene, wobei die sozialen Determinanten besonders einflussreich und veränderbar sind (Kirkbride et al. 2024).

Der Anteil der gesetzlich Versicherten, bei denen die Diagnose einer psychischen Störung in der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung dokumentiert wurde, wird als administrative Prävalenz oder auch Diagnoseprävalenz bezeichnet. Sie wird davon beeinflusst, dass viele Betroffene keine professionelle Hilfe aufgrund der psychischen Beschwerden aufsuchen (Mack et al. 2014) und psychische Störungen im Gesundheitssystem sowohl übersehen als auch überdiagnostiziert werden.

Schon gewusst?

(Psychische Störungen)

40,4 % der Erwachsenen erhielten im Jahr 2023 eine Diagnose einer psychischen Störung.

(Psychische Störungen)

1/2 Im Alter ab 80 Jahren wurde bei der Hälfte aller Erwachsenen eine psychische Störung diagnostiziert; damit deutlich häufiger als bei 18- bis 29-Jährigen.

(Psychische Störungen)

Bei Männern nahm die administrative Prävalenz psychischer Störungen zwischen 2012 und 2023 stärker zu als bei Frauen.

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Ergebnis

Im Jahr 2023 erhielten in Deutschland 40,4 % der Erwachsenen die Diagnose einer psychischen Störung in der ambulanten Versorgung. Bei Frauen lag der Anteil mit 43,9 % höher als bei Männern (36,1 %). Unter den Altersgruppen fiel die administrative Prävalenz psychischer Störungen bei den unter 30-Jährigen am geringsten (28,8 %) aus, in der Altersgruppe ab 80 Jahren am höchsten (50,6 %). Der Vergleich der Bundesländer unterschied sich zwischen den beobachten und den altersstandardisierten Werten. Altersstandardisiert lagen die Werte für Berlin am höchsten und in Nordrhein-Westfalen am niedrigsten.

Im Zeitverlauf stieg die administrative Prävalenz psychischer Störungen zwischen den Jahren 2012 (35,0 %) und 2023 an. Der stärkste Zuwachs fand in 2014 statt. Die aktuellsten Entwicklungen im Jahr 2023 sind im Gegensatz zum Vorjahr von einem erneuten Zuwachs geprägt, bei dem ein gegenüber den anderen Bundesländern erhöhter Anstieg in Sachsen-Anhalt auffällt.

Über die gesamte Zeitspanne von 2012 bis 2023 nahm die administrative Prävalenz psychischer Störungen bei Männern (+ 6,7 Prozentpunkte bzw. + 22,7 %) stärker zu als bei Frauen (+ 4,6 Prozentpunkte bzw. + 11,8 %). Unter den Altersgruppen war der Anstieg bei Frauen zwischen 60 und 69 Jahren und Männer zwischen 70 und 79 Jahren am stärksten. Im Vergleich der Bundesländer war der größte Anstieg in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen.

Fazit

Bei mehr als jedem dritten Erwachsenen wurde 2023 eine Diagnose einer psychischen Störung dokumentiert. Einschränkungen der psychischen Gesundheit spielen demnach eine erhebliche Rolle in der ambulanten Versorgung. Seit 2012 nahm die administrative Prävalenz psychischer Störungen in fast jedem Jahr weiter zu. Dem lagen unterschiedliche Trends bei spezifischen psychischen Störungen zugrunde (Thom et al. 2024). Da Männer stärkere Zuwächse verzeichnen, reduziert sich der Geschlechterunterschied über die Zeit. Zur Einordnung der Entwicklungen wären Informationen darüber erforderlich, ob psychische Störungen auch in der Bevölkerung häufiger auftreten oder lediglich zunehmend im Gesundheitssystem diagnostiziert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele psychische Störungen in Routinedaten nicht akkurat erfasst werden (Davis et al. 2016) und insbesondere die hohen Werte in den höheren Altersgruppen fraglich erscheinen. Um adäquat auf die große Zahl administrativer Diagnosen psychischer Störungen reagieren zu können, wäre ein besseres Verständnis ihrer Verlässlichkeit und ihrer zeitlichen Trends wünschenswert.

Methodik und Datenquellen

Definition

Der Indikator Psychische Störungen: Administrative Prävalenz ist definiert als der Anteil der gesetzlich versicherten Erwachsenen mit Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung, bei denen im jeweiligen Jahr einmalig oder mehrmals eine Diagnose einer psychischen Störung in der ambulanten Versorgung dokumentiert wurde (ICD-10-Code: F00 – F99).

Bezugspopulation

Alle gesetzlich versicherten Erwachsenen mit Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung (in 2023 etwa 60,7 Millionen).

Datenquelle und Fallzahl

Bundesweite vertragsärztliche Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V aller gesetzlich krankenversicherter Personen, die in den jeweiligen Jahren vertragsärztliche einschließlich vertragspsychotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen haben (Versorgungsatlas.de 2024). Der Datensatz des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi) umfasste 2012 eine Gesamtzahl von 57,6 Millionen und 2023 von 60,7 Millionen erwachsene Personen.

Weiterführende Links

Datenqualität

Der Datensatz enthält Diagnosen aus der ambulanten vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Nicht als Fall erfasst werden damit Personen, die ausschließlich in der stationären oder selektivvertraglichen Versorgung oder der ambulanten Behandlung im Krankenhaus eine Depressionsdiagnose erhalten haben. In der Bezugspopulation sind gesetzlich Versicherte ohne Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen nicht enthalten. Beide Limitationen haben jedoch nur geringfügige Auswirkungen auf die Prävalenzschätzung für Depressionsdiagnosen (Grobe und Frerk 2024). Grundsätzlich in den Daten nicht berücksichtigt werden Personen, die nicht gesetzlich versichert sind (2022: 12,1 %) (Destatis 2024).

Berechnung

  • Beschreibung: Quotient aus der Anzahl der gesetzlich versicherten Erwachsenen mit ambulanter Diagnose einer psychischen Störung und der Anzahl der gesetzlich versicherten Erwachsenen mit Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung.
  • Stratifizierung: Die Darstellung nach Bundesland basiert auf dem Wohnort der Versicherten.
  • Altersstandardisierung: Mit der europäischen Standardbevölkerung 2013 als Bezugspopulation erfolgte eine Standardisierung nach Alter und Geschlecht unter Verwendung von 18 – 19 Jahre sowie anschließend von 5-Jahres-Altersgruppen ab 20 – 24 Jahre bis 85 – 89 Jahre sowie ≥ 90 Jahre.

Publikationen zum Thema

Entwicklung der Diagnoseprävalenz psychischer Störungen 2012–2022

31.05.2024, Fachartikel, Deutsch

Hintergrund: In Auswertungen von Krankenkassen zeigt sich für die Diagnoseprävalenz psychischer Störungen eine Zunahme, deren Niveau und Umfang variieren. Im Rahmen von Mental Health Surveillance sollen Trends kassenübergreifend und differenziert nach verschiedenen Diagnosegruppen, Geschlecht und Alter sowie vor und während der COVID-19-Pandemie beschrieben werden.

Methode: In bundesweiten …

Trends in prevalence of depression in Germany between 2009 and 2017 based on nationwide ambulatory claims data

15.06.2020, Fachartikel, English

Background: Studies based on health insurance funds unanimously indicate a rise in administrative prevalence of depression, while population surveys with standardized diagnostic procedures do not. We describe recent trends in the prevalence of depressive disorders as diagnosed in routine care from 2009-2017 in Germany.

Methods: We used nationwide ambulatory claims data from all residents with …

Versorgungsepidemiologie psychischer Störungen

11.01.2019, Fachartikel, Deutsch

In Deutschland haben der deutliche Ausbau und die häufigere Nutzung von Versorgungsangeboten in den letzten Dekaden nicht zu sinkenden Prävalenzen psychischer Störungen geführt.

Zur Deutung dieses Phänomens werden drei Erklärungsansätze diskutiert: 1) Prävention und Versorgung sind mangelhaft und ineffektiv, 2) eine durch zunehmende gesellschaftliche Risiken wachsende Morbidität wirkt …